Mittwoch, Mai 23, 2007

BVerfG: Unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprueche fuer die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 56/2007 vom 23. Mai 2007


Zum Beschluss vom 28. Februar 2007 – 1 BvL 9/04 –


Unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche für die Betreuung
ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig


Nach § 1570 BGB kann ein geschiedener Elternteil von dem früheren
Ehegatten Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm wegen der
Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine
Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Übereinstimmend geht die
Rechtsprechung davon aus, dass bis zum Alter eines Kindes von acht
Jahren beziehungsweise bis zum Ende seiner Grundschulzeit für den
betreuenden Elternteil keine Erwerbsobliegenheit besteht. Demgegenüber
ist der in § 1615 l BGB normierte Anspruch eines Elternteils, der ein
nichteheliches Kind betreut und deshalb einer Erwerbstätigkeit nicht
nachgeht, deutlich schwächer ausgestaltet. Die Verpflichtung des anderen
Elternteils zur Gewährung von Unterhalt an den betreuenden Elternteil
endet gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB im Regelfall spätestens drei
Jahre nach der Geburt des Kindes.

Diese unterschiedliche Regelung der Dauer des Unterhaltsanspruchs eines
kinderbetreuenden  Elternteils ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Sie verstößt gegen das in Art. 6 Abs. 5 GG an den Gesetzgeber gerichtete
Gebot, nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen für ihre leibliche und
seelische Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern. Dies entschied
der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf eine Vorlage des
Oberlandesgerichts Hamm. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.
Dezember 2008 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zum
Inkrafttreten der Neuregelung kommen die bestehenden Regelungen weiter
zu Anwendung.

Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

  I. Der Gesetzgeber hat dem in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Verbot
     einer Schlechterstellung nichtehelicher Kinder gegenüber ehelichen
     Kindern zuwidergehandelt. Art. 6 Abs. 5 verbietet, mit zweierlei
     Maß zu messen und bei ehelichen Kindern eine erheblich längere
     persönliche Betreuung für angezeigt zu halten als bei
     nichtehelichen Kindern. Denn wie viel ein Kind an persönlicher
     elterlicher Betreuung und Zuwendung bedarf, richtet sich nicht
     danach, ob es ehelich oder nichtehelich geboren ist. Durch die
     ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche wegen der Betreuung von
     Kindern wird das nichteheliche Kind gegenüber dem ehelichen Kind
     zurückgesetzt, weil ihm die Möglichkeit genommen wird, ebenso lang
     wie ein eheliches Kind im Mittelpunkt elterlicher Sorge zu stehen.
     Diese unterschiedliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt.

     1. Sie rechtfertigt sich nicht durch unterschiedliche soziale
        Situationen, in denen sich die Kinder befinden. Die
        tatsächlichen Lebensbedingungen von ehelichen Kindern
        geschiedener Eltern und nichtehelichen Kindern unterscheiden
        sich prinzipiell nur unwesentlich. In beiden Fällen ist der
        betreuende Elternteil auf die Sicherstellung seines Unterhalts
        angewiesen, wenn er das Kind persönlich betreuen und deshalb
        keiner Erwerbsarbeit nachgehen will.

     2. Auch die im Gesetzgebungsverfahren angeführte große Bandbreite
        unterschiedlicher Lebensgestaltungen, die im Gegensatz zu
        verheirateten Eltern bei nichtverheirateten Eltern anzutreffen
        sei, vermag die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche
        kinderbetreuender Elternteile nicht zu rechtfertigen. Art. 6
        Abs. 5 GG bezweckt gerade die Gleichstellung von Kindern, deren
        Eltern keine Verantwortung füreinander übernommen haben, mit
        solchen Kindern, deren Eltern in ehelicher Verbundenheit
        füreinander und für ihr Kind Sorge tragen. Auf die Art der
        elterlichen Beziehung kommt es hinsichtlich eines
        Unterhaltsanspruchs, der wegen der Pflege oder Erziehung eines
        Kindes gewährt wird, nicht an. Der Unterhaltspflichtige wird vom
        Gesetz nicht um des anderen Elternteils willen, sondern wegen
        des Kindes in Anspruch genommen, damit dieses persönlich von
        einem Elternteil betreut werden kann. Auch führt die
        Vielgestaltigkeit nichtehelicher Beziehungen nicht zu
        unterschiedlicher Elternverantwortung gegenüber dem Kind.

     3. Die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche rechtfertigt sich
        auch nicht dadurch, dass bei geschiedenen Ehegatten im Gegensatz
        zu nicht miteinander verheirateten Eltern die eheliche
        Solidarität nachwirkt und Ansprüche begründen kann, die
        Nichtverheirateten nicht zustehen.

        Zwar ist es wegen des Schutzes, den die eheliche Verbindung
        durch Art. 6 Abs. 1 GG erfährt, nicht ausgeschlossen, einen
        geschiedenen Elternteil unterhaltsrechtlich besser zustellen als
        einen unverheirateten Elternteil, was sich mittelbar auch auf
        die Lebenssituation der mit diesen Elternteilen zusammenlebenden
        Kinder auswirken kann. So etwa hat ein geschiedener Elternteil
        ungeachtet des Alters des von ihm betreuten Kindes einen
        Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil, wenn er eine
        angemessene Erwerbsarbeit nicht findet. Räumt der Gesetzgeber
        aber dem geschiedenen Ehegatten einen Unterhaltsanspruch allein
        wegen der persönlichen Betreuung des gemeinsamen Kindes ein,
        dann verbietet es ihm Art. 6 Abs. 5 GG, die Dauer der für
        notwendig erachteten persönlichen Betreuung beim ehelichen Kind
        anders zu bemessen als bei einem nichtehelichen Kind.

        Weder dem Wortlaut des § 1570 BGB noch seiner
        Entstehungsgeschichte ist eine über die Kinderbetreuung
        hinausgehende Ausrichtung des Unterhaltsanspruchs zu entnehmen.
        Für den vom Gesetzgeber erst später nachgeschobenen Hinweis,
        dass der Betreuungsunterhalt auch durch den zusätzlichen
        Schutzzweck der nachehelichen Solidarität begründet sei, finden
        sich keine Anhaltspunkte. Die ausschließlich nach dem
        Kindesalter bemessene Dauer des Unterhaltsanspruchs aus § 1570
        BGB spricht vielmehr gegen die Annahme und Berücksichtigung
        eines solchen weiteren, die Dauer des Anspruchs bestimmenden
        Grundes. Auch die Rechtsprechung richtet die Unterhaltsdauer
        ausschließlich am Alter der Kinder aus. Das Alter eines Kindes
        ist sicherlich ein geeigneter Anknüpfungspunkt, um den Bedarf
        eines Kindes an persönlicher Betreuung durch einen Elternteil zu
        bestimmen. Das Alter ist aber kein tauglicher Maßstab dafür,
        zeitlich zu bestimmen, wie lange einem Elternteil nicht wegen
        der Kinderbetreuung, sondern wegen seines Vertrauens auf die
        während der Ehe eingenommene Rolle als Betreuer des Kindes
        Unterhalt gewährt werden sollte. Aufgrund der Anknüpfung
        ausschließlich an das Alter des Kindes beruht die
        unterschiedliche Dauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt
        allein auf einer unterschiedlichen Einschätzung des
        Betreuungsbedarfs von nichtehelichen und ehelichen Kindern. Dies
        aber verbietet Art. 6 Abs. 5 GG.

II. § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB verletzt dagegen nicht das von Art. 6
     Abs. 2 GG geschützte Elternrecht. Die zeitliche Begrenzung des
     Unterhaltsanspruchs auf in der Regel drei Jahre ist im Lichte des
     Art. 6 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden. Zum einen liegt es in der
     Einschätzungskompetenz des Gesetzgebers, für wie lange er es aus
     Kindeswohlgesichtspunkten für erforderlich und dem
     unterhaltspflichtigen Elternteil zumutbar erachtet, die persönliche
     Betreuung des Kindes durch einen Elternteil durch Gewährung eines
     Unterhaltsanspruchs an diesen zu ermöglichen. Zum anderen hat er
     jedem Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen
     Kindergartenplatz eingeräumt. Damit hat er sichergestellt, dass ein
     Kind ab diesem Alter in der Regel eine außerhäusliche Betreuung
     erfahren kann. Es ist eine vertretbare Einschätzung des
     Gesetzgebers, wenn er es deshalb nicht für notwendig erachtet hat,
     den betreuenden Elternteil länger von seiner Erwerbsobliegenheit zu
     entbinden, vielmehr unter Auswertung wissenschaftlicher Studien
     davon ausgegangen ist, eine Betreuung des Kindes im Kindergarten
     sei diesem nicht abträglich, sondern fördere wichtige Kompetenzen
     des Kindes.

III. Für die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands stehen dem
     Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. So kann er eine
     Gleichbehandlung der Regelungssachverhalte durch eine Änderung des
     § 1615 l BGB, durch eine Änderung von § 1570 BGB oder durch eine
     Neuregelung beider Sachverhalte vornehmen. Dabei hat er nur in
     jedem Fall einen gleichen Maßstab hinsichtlich der Dauer des
     Betreuungsunterhalts bei nichtehelichen und ehelichen Kindern
     zugrunde zu legen.

Zitierung: BVerfG, 1 BvL 9/04 vom 28.2.2007, Absatz-Nr. (1 - 78), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20070228_1bvl000904.html
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From: Bundesverfassungsgericht Newsletter-Service [
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Sent: Wednesday, May 23, 2007 10:39 AM
To: me@franz-romer.com
Subject: Unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprueche fuer die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig


Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.

Hierzu lautet der Kurztext:
Unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprueche fuer die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig

Den vollständigen Text finden Sie als Anhang. Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:

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