Verquickung von Gerichten und Gutachterfirma beschäftigt das Justizministerium - Kritiker fürchten Monopolstellung - "Gefahr der Kumpanei"
München - Die bayerische Justiz gerät wegen einer auffallend engen Geschäftsbeziehung seiner Gerichte zu einer Münchner Gutachterfirma in Bedrängnis. Zahlreiche Land- und Amtsgerichte beauftragen überwiegend die Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie (GWG), um familienpsychologische Gutachten einzuholen. Das teilte die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) auf eine parlamentarische Anfrage mit. Das Schreiben liegt dieser Zeitung vor.
Schon seit Jahren steht die GWG in der Kritik. Mehrmals haben sich der Bayerische Landtag und das Justizministerium mit Beschwerden über die GWG auseinandersetzen müssen. Zumeist handelte es sich um strittige familiengerichtliche Verfahren, bei denen es vor allem um das Sorgerecht der Kinder ging. In dem Schreiben der Justizministerin heißt es, die Beschwerdeführer warfen den Gutachtern der GWG einseitiges, unwissenschaftliches oder zu kostenintensives Vorgehen vor. Bekannt ist ein Fall aus dem Jahr 2002, bei dem die GWG für ein Gutachten eine zu hohe Rechnung an ein Gericht gestellt hatte und diese nachträglich nach unten korrigieren musste. Bekannt ist dem Justizministerium auch, dass die GWG-Gutachter 40 Prozent ihrer Honorare an die Muttergesellschaft abführen müssen. Oftmals wenden sich die Richter nicht an einen Gutachter selbst, ist aus Justizkreisen zu hören. Demnach lassen sich viele Richter von der GWG-Zentrale einen Gutachter benennen, dem sie dann den Auftrag erteilen.
Die nun vorgelegten Fakten zeigen, dass in einigen Familiengerichten Bayerns fast ausschließlich die Gutachter der GWG beauftragt werden. So hat das Familiengericht Ingolstadt von den zwölf in den vergangenen zwölf Monaten eingeholten familienpsychologischen Gutachten elf bei den Sachverständigen der GWG beauftragt. Pikantes Detail dieser Auftragsdichte: Der stets beauftragte Ingolstädter Gutachter ist der Chef der GWG selbst, Joseph Salzgeber. Er wollte sich zu dem Bericht des Justizministeriums gegenüber unserer Zeitung nicht äußern. Das Gericht in Ingolstadt habe mit ihm gute Erfahrungen gemacht, heißt es aus dem Justizministerium. Auch das Familiengericht Pfaffenhofen schaltet laut Ministerium "regelmäßig" die Gutachter der GWG ein. Das Amtsgericht Passau vergibt 75 Prozent seiner Aufträge an die Gutachterfirma. "Die zügige Erstellung der Gutachten" sei hier der Grund der Auftragsdichte, so Justizministerin Merk. Auch an mehreren Münchner Gerichten würden mehr als die Hälfte der Gutachtenaufträge an die GWG erteilt. Gründe dafür seien die zeitnahe Erstellung, insbesondere aber die Qualität der Gutachten.
An derartigen Begründungen zweifelt der CSU-Landtagsabgeordnete Joseph Ranner. Von ihm stammte die Anfrage an das Justizministerium. Er sagt nun: "Hier entwickelt sich eine Monopolstellung zugunsten der GWG." Der Verdacht liege nahe, dass die Gerichte dies steuern, so Ranner. "Warum so oft die GWG eingesetzt wird, ist mir ein Rätsel. Ich sehe die Neutralität der Gerichte in Gefahr."
Inzwischen hat sich eine Gruppe von Vätern und Müttern aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengeschlossen, die sich als Geschädigte der GWG bezeichnen. Einer ihrer Sprecher, Michael Möhnle aus München, sagt: "Das Geschäftsmodell der GWG lebt von den Konflikten in den Familien und heizt diese noch kräftig an, damit sich die Kassen der GWG-Zentrale in München füllen."
Aber die auffällig gute Auftragslage allein ist es nicht, die die GWG und die bayerischen Gerichte miteinander verbinden. Die GWG veranstaltet Fortbildungen für Familienrichter aus ganz Bayern. Das Familiengericht München hält beispielsweise regelmäßig zweimal im Jahr im sogenannten Interdisziplinären Arbeitskreis zusammen mit der GWG Fortbildungsveranstaltungen mit Familienrichtern ab. Das Landgericht Landshut will sogar einen gemeinsamen Arbeitskreis mit der GWG gründen. "Es besteht die Absicht, Treffen mit der Zielrichtung des Erfahrungsaustausches zu organisieren", so der Bericht der Justizministerin.
Die enge Zusammenarbeit der GWG mit den Gerichten stößt inzwischen auch unter Juristen auf scharfe Kritik. Der Rechtstheoretiker und Wirtschaftsrechtler Professor Volker Boehme-Neßler von der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik Berlin sagt: "Gutachter sollen unabhängig, unparteiisch und objektiv arbeiten." Das sei kaum noch möglich, wenn die Beziehungen zwischen Gutachtern und Richtern zu eng werden. "Deshalb ist es ein Unding, dass die GWG Richter zu eigenen Seminaren und Fortbildungen einlädt." Boehme-Neßler sieht in dieser Verzahnung auch ein qualitatives Problem: "Ein Richter muss oft über Dinge entscheiden, von denen er keine Ahnung hat. Er ist von seinem Gutachter abhängig." Deshalb hätten Gutachter generell eine große Macht. "Der Richter muss nicht der Meinung des Gutachters folgen. Aber in der Regel tut er es", so der Rechtstheoretiker.
"Der Gutachter will Aufträge erhalten, und der Richter will ein einfaches, schnelles Gutachten haben." Er sehe die Gefahr, dass dadurch eine Kumpanei zwischen Richter und Gutachter entstehe. Schließlich könne der Richter allein entscheiden, wer Gutachter in seinem Prozess wird.