Der Kampf des Idsteiners Thomas P. um das Sorge- und Betreuungsrecht für seinen Sohn / Europäischer Gerichtshof eingeschaltet
Vom 11.08.2007
IDSTEIN Für Viele ist er ein Querulant - ein Mann, der mit dem Kopf durch die Wand will und mit seiner Prozessierwut die Bodenhaftung verloren hat. Sein Fall, bei dem es zunächst ums Sorge- und jetzt ums Betreuungsrecht für seinen Sohn geht, füllt Tausende Seiten in Aktenordnern, und ständig kommt Neues hinzu: Klagen, Aufsichtsbeschwerden, Widersprüche, Ablehnungen. Thomas P. hält Gerichte, Ämter und Medien auf Trab. Der Idsteiner kämpft um sein Recht - aber nicht aus Rechthaberei, wie er versichert, sondern um die beste Förderung seines Sohnes und die Zusammenführung der Rest-Familie zu erreichen.
Von
Martin Kolbus
In die deutsche Justiz hat er das Vertrauen restlos verloren. "Ich habe inzwischen gegen sechs Richter Strafanzeige erstattet", rechnet Thomas P. vor. Und er hat keine Mühe, im ganzen Wust der Verfahren den Überblick zu bewahren. Selbst der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten trug er sein Anliegen vor und beschäftigte ebenso den Petitionsausschuss des Bundestages wie das Bundesverfassungsgericht.
Ohne greifbares Ergebnis - seine Verfassungsbeschwerde gegen vier Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Amtsgerichts Bad Schwalbach wurde gar nicht erst angenommen. Eine unanfechtbare Entscheidung. Doch Thomas P. gibt nicht klein bei, jetzt setzt er seine ganze Hoffnung auf die Europäische Gerichtsbarkeit. Mit anderen betroffenen Eltern und Anwälten aus EU-Mitgliedsstaaten erhob der Idsteiner im Juni auch im Petitionsausschuss des EU-Parlamentes in Brüssel Vorwürfe gegen die Praxis der Jugendämter bei strittigen Sorgerechtsentscheidungen.
Die Rechtsstreitigkeiten reichen zurück bis ins Jahr 2001. Seine Ehe geht damals in die Brüche und es beginnt, was bei vielen Trennungen die Folge ist: Der Streit um die Kinder. Die Ehefrau beantragt das Sorgerecht für zwei Kinder, doch das Amtsgericht Bad Schwalbach entscheidet im Oktober 2002, dass die elterliche Sorge dem Kindesvater zu übertragen sei. Die Ehefrau legt Beschwerde ein, doch das Oberlandesgericht Frankfurt weist 2003, den Gutachtern folgend, die Beschwerde zurück.
Während eines der Kinder ständig im Haushalt von Thomas P. bleibt, pendelt das zweite, ein Junge von damals 16 Jahren, zwischen Vater und Mutter hin und her. Und dann, etwa Mitte 2004, bleibt der Junge ganz bei der Mutter: aus eigenem Willen, wie die Mutter gegenüber den Richtern immer wieder betont, aufgrund von Einflussnahme der Mutter auf den behinderten Sohn, wie der Vater versichert.
Thomas P. vertraut auf Recht und Gerechtigkeit - und das Amtsgericht bestärkt ihn darin zunächst. Der zuständige Amtsrichter in Bad Schwalbach beschließt mit einstweiliger Anordnung im Juni 2004, dass die Mutter den Jungen an den Vater herauszugeben habe. "Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, zur Durchsetzung der Kindesherausgabe Gewalt anzuwenden (...und Polizeikräfte zur Unterstützung heranzuziehen...)", so heißt es wörtlich im Beschluss. Die Mutter, so der Richter, dürfte sich nicht über die rechtskräftige Sorgerechtsentscheidung hinwegsetzen. Was dann passiert, gibt dem Fall die entscheidende Wende: Am 17. Juni 2004 kommt der Gerichtsvollzieher, in Begleitung der Jugendamtsvertreter, um den Jungen dem Vater zu übergeben. Der Junge wehrt sich "mit Händen und Füßen", er will unbedingt bei der Mutter bleiben. "Ein Wechselspiel zwischen Angst, Wut und Verzweiflung", beschreibt eine Nachbarin den Vorgang.
Die Weigerung des Jungen hat Erfolg - er muss nicht mit dem Vater gehen, sondern begibt sich in die Obhut des Jugendamtes und wird in eine Jugendwohngruppe nach Königshofen gebracht. Ein Nachbar, Pfarrer in Idstein: "Dieses Bild werde ich nie vergessen, ein völlig entgeistert, starr vor Angst um sich schauendes Kind, das durch ein Spalier von Menschen geht wie ein Schwerverbrecher." Das sei pure und rohe Gewalt gegen ein hilfloses und dazu noch behindertes Kind, das nichts anderes wollte, als bei seiner Mama zu sein, so der Nachbar.
Später kommt der Junge aus der Wohngruppe wieder heraus und wird zur Mutter gebracht - und für den Vater, der in Besitz von zwei gültigen Richtersprüchen ist, beginnt der Kampf darum, sein Recht auch durchgesetzt zu bekommen. Vergeblich. Das Amtsgericht entscheidet, nach Anhörung aller Beteiligten, wenige Monate später, dass die elterliche Sorge für den Jungen nun doch der Mutter zu übertragen sei. Grund sei "die massive ablehnende Haltung, die der Sohn gegenüber seinem Vater entwickelt und in der Anhörung gegenüber dem Gericht auch zum Ausdruck gebracht" habe. Dabei spiele es keine Rolle, dass der Sohn aufgrund seiner Behinderung nicht die geistige Reife eines 17-Jährigen besitze.
P.´s Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt gegen diese Entscheidung wird im Januar 2005 zurückgewiesen. Der Sinneswandel des Jungen "beruht nicht auf einer entsprechenden Beeinflussung" durch die Mutter, erklärt der Richter. Der Junge bleibt bei seiner Mutter, ihm wird aber auch ein neutraler familienfremder Berufsbetreuer durch das Gericht gestellt. Thomas P. versucht alles, scheitert indes mit seinen Eingaben, wobei das Gericht - wenige Monate vor der Volljährigkeit des Jungen - nun auch keinen dringenden Handlungsbedarf mehr sieht.
Hätte das Jugendamt damals den Jungen in Obhut nehmen dürfen? Antworten auf diese und weitere Fragen ans Jugendamt und an den Landrat zu dieser und weiteren Fragen werden vom Rheingau-Taunus-Kreis verweigert. Ohne Einverständnis der Betroffenen seien Auskünfte nicht möglich. Die Behörde sei zur Verschwiegenheit verpflichtet, allein schon deshalb, weil es hier um eine Person gehe, die zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig gewesen ist.
Aus dem Jugendlichen von damals ist inzwischen ein junger Mann geworden, noch in diesem Jahr wird er 20 Jahre alt. "Mein Sohn ist seit April 2007 vollstationär im Pflegeheim Scheuern der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau untergebracht", berichtet der Vater. Die Mutter ist von Idstein weggezogen. Ihre Anwältin verweigert Auskünfte. "Ich selbst bin völlig entrechtet, habe nur durch Zufall von dieser Einweisung erfahren und keine Handhabe, um dagegen vorzugehen." Thomas P. kritisiert massiv das Jugendamt und besonders die Gerichte, die durch Abänderung des Sorgerechts versucht hätten, den Anschein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren: "Danach hat man mir den Vorwurf gemacht, gegen diesen Unrechtsbeschluss das Bundesverfassungsgericht angerufen zu haben. Ganz klar - wer in Deutschland so etwas tut, der ist weder sorge- noch betreuungsberechtigt", sagt Thomas P. mit bitterem Sarkasmus.
Längst ist auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in P.´s Visier geraten. Der Idsteiner Pfarrer habe durch seine Aktivitäten im Jahre 2004 und in der Folgezeit dazu beigetragen, dass die Familie endgültig zerstört und wirtschaftlich ruiniert worden sei. Der Pfarrer wisse, dass er mit seinem Eingreifen seinerzeit "gegen rechtskräftige Gerichtsbeschlüsse" verstoßen habe. Die EKHN habe bis heute keine Anstalten zur Zusammenführung seiner Familie und zur Behebung des wirtschaftlichen Schadens gemacht.
Entsprechend forderte P. die EKHN auf, einen Antrag auf Aufhebung der Heimunterbringung des Sohnes zu stellen und eine Zahlung von 50000 Euro als Abschlag auf die Schadensersatz- und Schmerzensgeldleistungen zu zahlen. Solche Forderungen hält die Kirchenverwaltung indes für abwegig, sie seien "weder rechtlich durchsetzbar noch begründet", reagierte die Rechtsabteilung in Darmstadt auf dieses Ansinnen. Man werde sich ausschließlich in einem gerichtlichen Verfahren zu der Angelegenheit äußern.
Ein ganz kleiner Lichtblick macht Thomas P. inzwischen Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch etwas in seinem Fall bewegen könnte. "Bundestagspräsident Dr. Lammert hat den Petitionsausschuss aufgefordert, meine Petition zum deutschen Familienrecht erneut zu bearbeiten. Das ist meines Wissens ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik."
Blickt P. heute auf die Bemühungen der vergangenen Jahre zurück, sieht er sich vor einem großen Scherbenhaufen. Dass der Sohn in ein Heim, weitab von Familie und Freunden, abgeschoben wurde, ist für den Vater das, was auf jeden Fall hätte verhindert werden müssen: "Es ist leider genau das eingetreten, was die Gutachter übereinstimmend als die schlechteste aller Lösungen für den Jungen erkannt hatten."